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810.12

Bundesgesetz
über genetische Untersuchungen beim Menschen

(GUMG)

vom 15. Juni 2018 (Stand am 1. Dezember 2022)

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,

gestützt auf die Artikel 98 Absatz 3, 110 Absatz 1, 113 Absatz 1, 117 Absatz 1,
119 Absatz 2 und 122 Absatz 1 der Bundesverfassung1,
nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 5. Juli 20172,

beschliesst:

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen

1. Abschnitt: Zweck, Gegenstand, Geltungsbereich und Begriffe

Art. 1 Zweck und Gegenstand

1 Dieses Gesetz bezweckt, bei genetischen und pränatalen Untersuchungen beim Menschen:

a.
die Menschenwürde und die Persönlichkeit zu schützen;
b.
Missbräuche bei der Durchführung der Untersuchungen und beim Umgang mit genetischen Daten zu verhindern;
c.
die Qualität der Durchführung der Untersuchungen und der Interpretation der Ergebnisse sicherzustellen.

2 Es regelt, unter welchen Voraussetzungen genetische und pränatale Untersuchungen beim Menschen durchgeführt werden dürfen:

a.
im medizinischen Bereich;
b.
ausserhalb des medizinischen Bereichs;
c.
bei Arbeits- und Versicherungsverhältnissen sowie in Haftpflichtfällen;
d.
zur Erstellung von DNA-Profilen zur Klärung der Abstammung oder zur Identifizierung von Personen.
Art. 2 Einschränkungen des Geltungsbereichs und Verhältnis zu anderen Erlassen

1 Für genetische Untersuchungen zur Abklärung von Eigenschaften des Erbguts, die nicht an Nachkommen weitergegeben werden, gelten die Artikel 3-15, 27, 33 und
56-58. Der Bundesrat kann nach Anhörung der Eidgenössischen Kommission für genetische Untersuchungen beim Menschen nach Artikel 54 (Kommission):

a.
solche Untersuchungen vom Geltungsbereich dieses Gesetzes ausnehmen, wenn sie im medizinischen Bereich durchgeführt werden und bei ihrer Durchführung keine Überschussinformationen zu Eigenschaften entstehen, die an Nachkommen weitergegeben werden;
b.
abweichende Regelungen zur Aufklärung nach Artikel 6 vorsehen;
c.
weitere Bestimmungen für anwendbar erklären, insbesondere zur Veranlassung und zur Bewilligungspflicht.

2 Für genetische Untersuchungen zur Typisierung von Blutgruppen oder Blut- oder Gewebemerkmalen, die im Zusammenhang mit Bluttransfusionen und der Transplantation von Organen, Geweben und Zellen durchgeführt werden, gelten die Artikel 3-12, 27, 33 und 56-58. Der Bundesrat kann nach Anhörung der Kommission:

a.
solche Untersuchungen vom Geltungsbereich dieses Gesetzes ausnehmen, wenn bei ihrer Durchführung keine Überschussinformationen zu Eigenschaften entstehen, die an Nachkommen weitergegeben werden;
b.
abweichende Regelungen zur Aufklärung nach Artikel 6 vorsehen;
c.
die Bestimmungen zu Untersuchungen zur Typisierung von Blutgruppen oder Blut- oder Gewebemerkmalen auch für genetische Untersuchungen im Rahmen der Nachsorge einer Transplantation für anwendbar erklären.

3 Für die Erstellung von DNA-Profilen zur Klärung der Abstammung oder zur Identifizierung von Personen gelten neben dem 5. Kapitel nur die Artikel 3-5, 7-13, 15 und 56-58. Die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren oder zur Identifizierung von unbekannten oder vermissten Personen richtet sich nach dem DNA-Profil-Gesetz vom 20. Juni 20033.

4 Genetische und pränatale Untersuchungen im Rahmen der Forschung zu Krankheiten des Menschen sowie zu Aufbau und Funktion des menschlichen Körpers richten sich nach dem Humanforschungsgesetz vom 30. September 20114.

Art. 3 Begriffe

In diesem Gesetz bedeuten:

a.
genetische Untersuchungen: zytogenetische und molekulargenetische Untersuchungen zur Abklärung von Eigenschaften des menschlichen Erbguts sowie alle weiteren Laboruntersuchungen, die unmittelbar darauf abzielen, solche Informationen über das menschliche Erbgut zu erhalten;
b.
zytogenetische Untersuchungen: Untersuchungen zur Abklärung der Zahl und der Struktur der Chromosomen;
c.
molekulargenetische Untersuchungen: Untersuchungen zur Abklärung der molekularen Struktur der Desoxyribonukleinsäure (DNA), der Ribonukleinsäure und des unmittelbaren Genprodukts;
d.
diagnostische genetische Untersuchungen: genetische Untersuchungen zur Abklärung derjenigen Eigenschaften des Erbguts, die für bestehende klinische Symptome verantwortlich sind;
e.
präsymptomatische genetische Untersuchungen: genetische Untersuchungen zur Abklärung von Krankheitsveranlagungen vor dem Auftreten klinischer Symptome;
f.
pränatale Untersuchungen: pränatale genetische Untersuchungen und pränatale Risikoabklärungen;
g.
pränatale genetische Untersuchungen: genetische Untersuchungen während der Schwangerschaft zur Abklärung von Eigenschaften des Erbguts des Embryos oder des Fötus;
h.
pränatale Risikoabklärungen: Laboruntersuchungen, die Hinweise auf das Risiko einer genetischen Anomalie des Embryos oder des Fötus geben, die aber keine genetischen Untersuchungen nach Buchstabe a sind, sowie Untersuchungen des Embryos oder des Fötus mit bildgebenden Verfahren;
i.
Untersuchungen zur Familienplanung: genetische Untersuchungen zur Abklärung einer Anlageträgerschaft und des sich daraus ergebenden Risikos einer genetischen Anomalie für künftige Nachkommen;
j.
DNA-Profil: spezifische Eigenschaften des Erbguts einer Person, die mit einer genetischen Untersuchung abgeklärt und zur Klärung von deren Abstammung oder zur Identifizierung dieser Person verwendet werden;
k.
genetische Daten: Informationen über das Erbgut einer Person, die durch eine genetische Untersuchung gewonnen werden, einschliesslich des DNA-Profils;
l.
Probe: für eine genetische Untersuchung, einschliesslich der Erstellung eines DNA-Profils, entnommenes oder verwendetes biologisches Material;
m.
betroffene Person: lebende Person, deren Erbgut untersucht wird oder von der ein DNA-Profil erstellt wird und von der entsprechende Proben oder genetische Daten vorliegen; bei pränatalen Untersuchungen die schwangere Frau;
n.
Überschussinformation: Ergebnis einer genetischen Untersuchung, das für deren Zweck nicht benötigt wird.

2. Abschnitt: Grundsätze

Art. 5 Zustimmung

1 Genetische und pränatale Untersuchungen dürfen nur durchgeführt werden, wenn die betroffene Person nach hinreichender Aufklärung frei und ausdrücklich zugestimmt hat.

2 Die betroffene Person kann die Zustimmung jederzeit widerrufen.

3 Ist die betroffene Person urteilsunfähig, so ist die Zustimmung der zu ihrer Vertretung berechtigten Person erforderlich.

4 Urteilsunfähige Personen sind so weit als möglich in das Aufklärungs-, Beratungs- und Zustimmungsverfahren einzubeziehen.

Art. 6 Aufklärung bei genetischen Untersuchungen

Die betroffene Person muss in verständlicher Form insbesondere über Folgendes aufgeklärt werden:

a.
Zweck, Art und Aussagekraft der Untersuchung;
b.
Risiken sowie physische und psychische Belastungen, die mit der Untersuchung verbunden sind;
c.
den Umgang mit der Probe und den genetischen Daten während und nach der Untersuchung, insbesondere betreffend die Qualitätssicherung und die Aufbewahrung;
d.
die Möglichkeit, dass Überschussinformationen entstehen;
e.
die Fälle, in denen Überschussinformationen nicht mitgeteilt werden dürfen (Art. 17 Abs. 2, 27 und 33);
f.
die mögliche Bedeutung des Untersuchungsergebnisses für Familienangehörige und deren Recht auf Nichtwissen;
g.
ihre Rechte, insbesondere betreffend Zustimmung, Information und Nichtwissen.
Art. 7 Recht auf Information

1 Die betroffene Person hat das Recht auf Mitteilung der aus einer genetischen oder pränatalen Untersuchung hervorgehenden Informationen.

2 Einer anderen Person dürfen die Informationen aus einer genetischen oder pränatalen Untersuchung nur mitgeteilt werden, wenn die betroffene Person zugestimmt hat.

Art. 8 Recht auf Nichtwissen

Jede Person hat das Recht, die Kenntnisnahme von Informationen über ihr Erbgut ganz oder teilweise zu verweigern.

Art. 10 Schutz von Proben und genetischen Daten

1 Wer mit Proben umgeht oder genetische Daten bearbeitet, muss sie durch geeignete technische und organisatorische Massnahmen vor unbefugtem Umgang und unbefugter Bearbeitung schützen. Der Bundesrat kann die Anforderungen festlegen, insbesondere betreffend die Aufbewahrung.

2 Im Übrigen richtet sich die Bearbeitung genetischer Daten nach den Datenschutzbestimmungen des Bundes und der Kantone.

Art. 11 Dauer der Aufbewahrung von Proben und genetischen Daten

1 Proben und genetische Daten dürfen nur so lange aufbewahrt werden, wie dies erforderlich ist zur:

a.
Durchführung der Untersuchung, einschliesslich der Qualitätssicherung;
b.
Verwendung zu einem anderen Zweck;
c.
Erfüllung kantonaler Vorschriften, insbesondere betreffend die Führung von Patientendossiers.

2 Bei Untersuchungen nach Artikel 31 Absatz 2 sind die Proben und Daten spätestens zwei Jahre nach der Durchführung zu vernichten, es sei denn, die betroffene Person hat der Verwendung zu einem anderen Zweck zugestimmt oder der Anonymisierung nicht widersprochen.

Art. 12 Verwendung von Proben und genetischen Daten zu einem anderen Zweck

1 Proben und genetische Daten dürfen in unverschlüsselter oder verschlüsselter Form nur zu einem anderen Zweck verwendet werden, wenn die betroffene Person nach hinreichender Aufklärung frei und ausdrücklich zugestimmt hat.

2 Sie dürfen in anonymisierter Form zu einem anderen Zweck verwendet werden, wenn die betroffene Person vorgängig informiert wurde und der Anonymisierung nicht widersprochen hat.

Art. 13 Genetische Tests zur Eigenanwendung

Verwendungsfertige genetische Tests, die vom Hersteller zur Anwendung durch betroffene Personen bestimmt sind, dürfen diesen nur für genetische Untersuchungen nach Artikel 31 Absatz 2 abgegeben werden.

Art. 14 Publikumswerbung

1 Publikumswerbung ist für folgende genetische Untersuchungen verboten:

a.
genetische Untersuchungen im medizinischen Bereich;
b.
pränatale genetische Untersuchungen und genetische Untersuchungen bei urteilsunfähigen Personen.

2 Dieses Verbot gilt nicht für Personen, die nach Artikel 20 zur Veranlassung von Untersuchungen nach Absatz 1 befugt sind.

3 Die Publikumswerbung für genetische Untersuchungen nach Artikel 31 muss über die Vorgaben dieses Gesetzes zur Veranlassung, zur Aufklärung und zur Mitteilung des Resultats sowie zum Verbot ihrer Durchführung im Rahmen von pränatalen Untersuchungen und bei urteilsunfähigen Personen informieren. Irreführende Angaben sind verboten.

3. Abschnitt: Zulässigkeit von Untersuchungen in besonderen Fällen

Art. 16 Genetische Untersuchungen bei urteilsunfähigen Personen

1 Genetische Untersuchungen dürfen bei urteilsunfähigen Personen nur durchgeführt werden, wenn sie zum Schutz ihrer Gesundheit notwendig sind.

2 Eine genetische Untersuchung darf in Abweichung von Absatz 1 durchgeführt werden, wenn das Risiko und die Belastung für die urteilsunfähige Person geringfügig sind, diese die Untersuchung weder durch Äusserungen noch durch entsprechendes Verhalten erkennbar ablehnt und wenn:

a.
sich eine schwere Erbkrankheit in der Familie oder eine entsprechende Anlageträgerschaft nicht auf andere Weise abklären lässt und das Ergebnis der Untersuchung entweder für die Gesundheit der Mitglieder der Familie von grossem Nutzen ist oder für ihre Familienplanung wesentliche Informationen liefert; oder
b.
mit der Untersuchung abgeklärt werden soll, ob sich Gewebe, Zellen oder Blut einer urteilsunfähigen Person aufgrund der Blutgruppen oder Blut- oder Gewebemerkmale für eine Übertragung auf eine Empfängerin oder einen Empfänger nach dem Transplantationsgesetz vom 8. Oktober 20045 oder dem Heilmittelgesetz vom 15. Dezember 20006 eignen.
Art. 17 Pränatale Untersuchungen

1 Pränatale Untersuchungen dürfen nur durchgeführt werden, um:

a.
Eigenschaften abzuklären, welche die Gesundheit des Embryos oder des Fötus direkt beeinträchtigen;
b.
Blutgruppen oder Blutmerkmale abzuklären, um Komplikationen, die sich aus einer entsprechenden Unverträglichkeit zwischen Mutter und Fötus ergeben, vorbeugen oder die Folgen der Komplikationen behandeln zu können; oder
c.
abzuklären, ob sich das Nabelschnurblut des Embryos oder des Fötus aufgrund seiner Gewebemerkmale zur Übertragung auf einen Elternteil oder ein Geschwister eignet.

2 Der schwangeren Frau darf vor Ablauf der zwölften Woche nach Beginn der letzten Periode nicht mitgeteilt werden:

a.
das Geschlecht des Embryos oder des Fötus bei einer Untersuchung nach Absatz 1 Buchstabe a, es sei denn, die Beeinträchtigung der Gesundheit hängt mit dem Geschlecht zusammen;
b.
das Ergebnis einer Untersuchung nach Absatz 1 Buchstabe c.

3 Die Mitteilung darf auch nach Ablauf der zwölften Woche nicht erfolgen, wenn aus der Sicht der Ärztin oder des Arztes die Gefahr besteht, dass die Schwangerschaft aufgrund des Geschlechts oder der Eignung des Nabelschnurbluts für eine Übertragung abgebrochen wird.

Art. 18 Genetische Untersuchungen bei verstorbenen Personen, bei Embryonen oder Föten aus Schwangerschaftsabbrüchen, bei Spontanaborten sowie bei Totgeburten

1 Genetische Untersuchungen dürfen bei einer verstorbenen Person nur durchgeführt werden, wenn:

a.
sie zur Abklärung einer Erbkrankheit oder einer entsprechenden Anlageträgerschaft notwendig sind;
b.
eine mit der verstorbenen Person verwandte Person dies verlangt;
c.
die untersuchte Eigenschaft die Gesundheit oder die Familienplanung der verwandten Person betrifft; und
d.
sich die betreffende Eigenschaft auf keine andere Weise abklären lässt.

2 Genetische Untersuchungen bei Embryonen oder Föten aus Schwangerschaftsabbrüchen und Spontanaborten sowie bei Totgeburten dürfen nur durchgeführt werden, wenn die betroffene Frau zugestimmt hat.

3 Genetische Untersuchungen bei verstorbenen Personen, bei Embryonen oder Föten aus Schwangerschaftsabbrüchen und Spontanaborten sowie bei Totgeburten dürfen zudem durchgeführt werden, wenn eine Obduktion nach Bundesrecht oder nach kantonalem Recht zulässig ist und die genetische Untersuchung dazu dient, die Todesursache zu klären.

2. Kapitel: Genetische und pränatale Untersuchungen im medizinischen Bereich

1. Abschnitt: Umfang

Art. 19

Als genetische und pränatale Untersuchungen im medizinischen Bereich gelten diagnostische, präsymptomatische und pränatale genetische Untersuchungen, pränatale Risikoabklärungen, Untersuchungen zur Familienplanung sowie weitere zu medizinischen Zwecken durchgeführte genetische Untersuchungen, insbesondere zur Abklärung der Wirkungen einer möglichen Therapie.

2. Abschnitt: Veranlassung, Beratung und Mitteilung der Ergebnisse

Art. 20 Veranlassung der genetischen Untersuchungen

1 Genetische Untersuchungen im medizinischen Bereich dürfen nur von Ärztinnen und Ärzten veranlasst werden, die zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung befugt sind und die über:

a.
einen eidgenössischen Weiterbildungstitel in dem Fachgebiet verfügen, dem die betreffende Untersuchung zugeordnet wird; oder
b.
eine besondere Qualifikation im Bereich der Humangenetik verfügen.

2 Bei genetischen Untersuchungen, die erhöhte Anforderungen insbesondere an die Aufklärung, die Beratung oder die Interpretation der Ergebnisse stellen, kann der Bundesrat nach Anhörung der Kommission die Veranlassung auf Ärztinnen und Ärzte mit einem bestimmten eidgenössischen Weiterbildungstitel oder mit einer anderen besonderen Qualifikation einschränken.

3 Bei genetischen Untersuchungen, die keine besonderen Anforderungen stellen, kann der Bundesrat nach Anhörung der Kommission die Veranlassung zusätzlich folgenden Personen erlauben:

a.
Ärztinnen und Ärzten, welche die Anforderungen nach Absatz 1 nicht erfüllen;
b.
weiteren Fachpersonen, die zur Ausübung eines Medizinal-, Psychologie- oder Gesundheitsberufes in eigener fachlicher Verantwortung befugt sind.

4 Erlaubt der Bundesrat die Veranlassung genetischer Untersuchungen durch Fachpersonen nach Absatz 3 Buchstabe b, so kann er Bestimmungen über genetische Untersuchungen zur Abklärung besonders schützenswerter Eigenschaften nach Artikel 31 Absatz 1 für anwendbar erklären.

Art. 21 Genetische Beratung im Allgemeinen

1 Die veranlassende Ärztin oder der veranlassende Arzt sorgt dafür, dass die betroffene Person:

a.
vor und nach einer diagnostischen genetischen Untersuchung die Möglichkeit hat, sich beraten zu lassen;
b.
vor und nach einer präsymptomatischen oder pränatalen genetischen Untersuchung oder vor und nach einer Untersuchung zur Familienplanung eine genetische Beratung erhält.

2 Die Beratung muss nichtdirektiv und durch eine fachkundige Person erfolgen. Sie darf nur der individuellen und familiären Situation der betroffenen Person und nicht allgemeinen gesellschaftlichen Interessen Rechnung tragen. Das Beratungsgespräch ist zu dokumentieren.

3 Die Beratung muss zusätzlich zur Aufklärung nach Artikel 6 insbesondere folgende Aspekte umfassen:

a.
Häufigkeit und Art der abzuklärenden Störung;
b.
medizinische, psychische und soziale Auswirkungen in Zusammenhang mit der Untersuchung oder mit dem Verzicht darauf;
c.
Möglichkeiten der Übernahme der Untersuchungskosten und der Kosten für Folgemassnahmen;
d.
Bedeutung der festgestellten Störung sowie sich anbietende prophylaktische oder therapeutische Massnahmen;
e.
Möglichkeiten der Unterstützung im Zusammenhang mit dem Untersuchungsergebnis;
f.
Voraussetzungen, unter denen Versicherungseinrichtungen die Bekanntgabe von Daten aus durchgeführten genetischen Untersuchungen verlangen können.

4 Zwischen der Beratung und der Durchführung der Untersuchung muss eine angemessene Bedenkzeit liegen.

Art. 22 Genetische Beratung bei pränatalen genetischen Untersuchungen

1 Bei pränatalen genetischen Untersuchungen ist die schwangere Frau vor und nach der Durchführung ausdrücklich auf ihre Selbstbestimmungsrechte nach den Artikeln 5, 7, 8 und 27 Absatz 1 hinzuweisen; sie muss zudem auf die Informations- und Beratungsstellen nach Artikel 24 aufmerksam gemacht werden.

2 Eröffnet die vorgeschlagene Untersuchung mit hoher Wahrscheinlichkeit keine prophylaktischen oder therapeutischen Möglichkeiten, so ist die schwangere Frau im Voraus darauf hinzuweisen.

3 Erwägt die schwangere Frau im Zusammenhang mit der Untersuchung einen Schwangerschaftsabbruch, so ist sie über Alternativen zum Abbruch zu informieren und auf Vereinigungen von Eltern behinderter Kinder sowie Selbsthilfegruppen aufmerksam zu machen.

4 Der Ehegatte oder der Partner der schwangeren Frau ist nach Möglichkeit in die genetische Beratung einzubeziehen.

Art. 23 Aufklärung bei pränatalen Risikoabklärungen

Vor der Durchführung einer pränatalen Risikoabklärung muss die schwangere Frau insbesondere aufgeklärt werden über:

a.
Zweck, Art und Aussagekraft der Untersuchung;
b.
die Möglichkeit eines unerwarteten Untersuchungsergebnisses;
c.
mögliche Folgeuntersuchungen und -eingriffe;
d.
Informations- und Beratungsstellen nach Artikel 24;
e.
ihre Rechte, insbesondere betreffend Zustimmung, Information und Nichtwissen.
Art. 24 Informations- und Beratungsstellen für pränatale Untersuchungen

1 Die Kantone sorgen dafür, dass unabhängige Informations- und Beratungsstellen für pränatale Untersuchungen bestehen.

2 Die Stellen informieren und beraten in allgemeiner Weise über pränatale Untersuchungen und vermitteln auf Wunsch Kontakte zu Vereinigungen von Eltern behinderter Kinder oder zu Selbsthilfegruppen.

3 Die Kantone können die Aufgabe nach Absatz 2 den Beratungsstellen nach dem Bundesgesetz vom 9. Oktober 19817 über die Schwangerschaftsberatungsstellen übertragen.

Art. 25 Form der Zustimmung

Für präsymptomatische und pränatale genetische Untersuchungen sowie für Untersuchungen zur Familienplanung ist die Zustimmung in schriftlicher Form zu erteilen.

Art. 26 Mitteilung des Untersuchungsergebnisses im Allgemeinen

1 Das Ergebnis einer genetischen oder pränatalen Untersuchung muss der betroffenen Person von einer Ärztin oder einem Arzt oder von einer von dieser oder diesem beauftragten Fachperson mitgeteilt werden.

2 Ist die betroffene Person urteilsunfähig, so darf die zu ihrer Vertretung berechtigte Person die Kenntnisnahme des Untersuchungsergebnisses nicht verweigern, wenn es zum Schutz der Gesundheit der urteilsunfähigen Person notwendig ist.

3 Ist die Mitteilung des Ergebnisses an Verwandte oder an andere nahestehende Personen zur Wahrung von deren Interessen notwendig und fehlt hierfür die Zustimmung der betroffenen Person, so kann die Ärztin oder der Arzt bei der zuständigen kantonalen Behörde nach Artikel 321 Absatz 2 des Strafgesetzbuchs8 die Entbindung vom Berufsgeheimnis beantragen. Die Behörde kann die Kommission um eine Stellungnahme ersuchen.

Art. 27 Mitteilung von Überschussinformationen

1 Die betroffene Person entscheidet, welche Überschussinformationen ihr mitgeteilt werden sollen.

2 Ist die betroffene Person urteilsunfähig, so dürfen der zu ihrer Vertretung berechtigten Person Überschussinformationen nur mitgeteilt werden, wenn:

a.
es zum Schutz der Gesundheit der urteilsunfähigen Person notwendig ist; oder
b.
es sich um Informationen über eine schwere Erbkrankheit in der Familie oder über eine entsprechende Anlageträgerschaft handelt.

3 Bei pränatalen genetischen Untersuchungen dürfen Überschussinformationen nur mitgeteilt werden, wenn es sich um Informationen handelt über:

a.
direkte Beeinträchtigungen der Gesundheit des Embryos oder Fötus; oder
b.
eine schwere Erbkrankheit in der Familie oder eine entsprechende Anlageträgerschaft.

3. Abschnitt: Durchführung von genetischen Untersuchungen

Art. 28 Bewilligung

1 Wer zytogenetische oder molekulargenetische Untersuchungen im medizinischen Bereich durchführt, benötigt eine Bewilligung des Bundesamts für Gesundheit (BAG).

2 Der Bundesrat kann nach Anhörung der Kommission:

a.
weitere genetische Untersuchungen oder pränatale Risikoabklärungen der Bewilligungspflicht unterstellen, wenn diese den gleichen Anforderungen an die Qualitätssicherung und an die Interpretation der Ergebnisse genügen müssen wie zytogenetische und molekulargenetische Untersuchungen;
b.
zytogenetische oder molekulargenetische Untersuchungen, die keine besonderen Anforderungen an die Durchführung und an die Interpretation der Ergebnisse stellen, von der Bewilligungspflicht ausnehmen;
c.
einzelne Arbeitsschritte, die von Einrichtungen ohne Bewilligung nach Absatz 1 durchgeführt werden, der Bewilligungspflicht unterstellen.

3 Die Bewilligung wird erteilt, wenn:

a.
die erforderlichen fachlichen und betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind; und
b.
ein geeignetes Qualitätsmanagementsystem vorhanden ist.

4 Der Bundesrat regelt:

a.
die Anforderungen an die Laborleiterin oder den Laborleiter und das Laborpersonal, an das Qualitätsmanagementsystem sowie die betrieblichen Voraussetzungen;
b.
die Pflichten der Inhaberinnen und Inhaber der Bewilligung;
c.
das Bewilligungsverfahren;
d.
die Aufsicht, insbesondere die Möglichkeit unangemeldeter Inspektionen; und
e.
den Informationsaustausch zwischen den beteiligten Behörden von Bund und Kantonen bezüglich Bewilligungen und Aufsichtstätigkeiten.
Art. 29 Durchführung genetischer Untersuchungen im Ausland

Veranlassende Ärztinnen und Ärzte sowie Laboratorien dürfen die Durchführung von genetischen Untersuchungen einem Laboratorium im Ausland ganz oder teilweise übertragen, wenn:

a.
dieses die Durchführung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik gewährleistet;
b.
dieses über ein geeignetes Qualitätsmanagementsystem verfügt;
c.
dieses in seinem Land berechtigt ist, solche Untersuchungen durchzuführen; und
d.
die betroffene Person schriftlich zugestimmt hat.

4. Abschnitt: Reihenuntersuchungen

Art. 30

1 Genetische Untersuchungen, die der gesamten Bevölkerung oder bestimmten Teilen davon systematisch angeboten werden, ohne dass bei der einzelnen Person der Verdacht besteht, dass die gesuchten Eigenschaften vorhanden sind (Reihenuntersuchungen), dürfen nur durchgeführt werden, wenn ein vom BAG bewilligtes Anwendungskonzept vorliegt.

2 Das Anwendungskonzept muss aufzeigen, dass:

a.
eine Frühbehandlung oder Prophylaxe möglich ist;
b.
die Untersuchungsmethode nachweislich zuverlässige Ergebnisse liefert;
c.
eine angemessene genetische Beratung sichergestellt ist; und
d.
die Durchführung der Reihenuntersuchung für eine angemessene Dauer gewährleistet ist.

3 Es kann vorsehen, dass:

a.
die genetische Untersuchung von einer Gesundheitsfachperson veranlasst werden kann, die nach Artikel 20 nicht berechtigt ist;
b.
bei der genetischen Beratung von den Vorgaben nach Artikel 21 abgewichen wird;
c.
die Zustimmung nicht in schriftlicher Form erforderlich ist.

4 Bevor das BAG die Bewilligung erteilt, hört es die Kommission und, falls nötig, die nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin an.

5 Der Bundesrat kann nach Anhörung der Kommission und unter Berücksichtigung nationaler und internationaler Regelungen weitere Voraussetzungen für Reihenuntersuchungen festlegen.

3. Kapitel: Genetische Untersuchungen ausserhalb des medizinischen Bereichs

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen

Art. 31 Kategorien von genetischen Untersuchungen ausserhalb des medizinischen Bereichs

1 Als genetische Untersuchungen zur Abklärung besonders schützenswerter Eigenschaften der Persönlichkeit ausserhalb des medizinischen Bereichs gelten Untersuchungen, die nicht zu medizinischen Zwecken erfolgen und die Folgendes betreffen:

a.
physiologische Eigenschaften, deren Kenntnis die Lebensweise beeinflussen kann;
b.
persönliche Eigenschaften wie Charakter, Verhalten, Intelligenz, Vorlieben oder Begabungen; oder
c.
die ethnischen oder andere die Herkunft betreffende Eigenschaften.

2 Als übrige genetische Untersuchungen ausserhalb des medizinischen Bereichs gelten Untersuchungen, die weder zu medizinischen Zwecken noch zur Abklärung besonders schützenswerter Eigenschaften nach Absatz 1, noch zur Erstellung eines DNA-Profils durchgeführt werden.

3 Der Bundesrat kann die genetischen Untersuchungen nach den Absätzen 1 und 2 näher umschreiben.

Art. 32 Aufklärung

1 Bei genetischen Untersuchungen ausserhalb des medizinischen Bereichs muss die betroffene Person zusätzlich zu den Inhalten nach Artikel 6 aufgeklärt werden über:

a.
das Laboratorium, das die genetische Untersuchung durchführt; und
b.
die Firmen und Laboratorien im Ausland, die an der Durchführung der Untersuchung beteiligt sind oder die die genetischen Daten bearbeiten.

2 Die Aufklärung muss schriftlich erfolgen und die Kontaktdaten folgender Personen enthalten:

a.
einer Fachperson, die der betroffenen Person Fragen zur genetischen Untersuchung beantworten kann;
b.
der für die Datenbearbeitung verantwortlichen Person.

2. Abschnitt: Zusätzliche Bestimmungen für genetische Untersuchungen zur Abklärung besonders schützenswerter Eigenschaften

Art. 34 Veranlassung der genetischen Untersuchungen

1 Genetische Untersuchungen nach Artikel 31 Absatz 1 dürfen nur von Gesundheitsfachpersonen veranlasst werden, die:

a.
zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung befugt sind; und
b.
in der Aus- und Weiterbildung Kenntnisse der Humangenetik erworben haben.

2 Die Untersuchung darf nur von Gesundheitsfachpersonen veranlasst werden, die in dem Bereich tätig sind, dem die genetische Untersuchung zugeordnet wird.

3 Die Probeentnahme muss im Beisein der veranlassenden Person stattfinden.

4 Der Bundesrat legt nach Anhörung der Kommission fest, welche Gesundheitsfachpersonen welche genetischen Untersuchungen veranlassen dürfen.

Art. 35 Bewilligung

1 Wer zytogenetische oder molekulargenetische Untersuchungen zur Abklärung besonders schützenswerter Eigenschaften durchführt, benötigt eine Bewilligung des BAG; die Bewilligung wird erteilt, wenn die Voraussetzungen nach Artikel 28 Absatz 3 erfüllt sind. Artikel 28 Absatz 4 gilt sinngemäss.

2 Der Bundesrat kann eine Bewilligungspflicht für weitere genetische Untersuchungen vorsehen, einzelne zytogenetische oder molekulargenetische Untersuchungen von der Bewilligungspflicht ausnehmen oder einzelne Arbeitsschritte der Durchführung einer genetischen Untersuchung einer Bewilligungspflicht unterstellen. Artikel 28 Absatz 2 gilt sinngemäss.

4. Kapitel: Genetische Untersuchungen bei Arbeits- und Versicherungsverhältnissen sowie in Haftpflichtfällen

1. Abschnitt: Grundsatz

Art. 37

Arbeitgeber und Versicherungseinrichtungen dürfen weder die Durchführung von genetischen Untersuchungen ausserhalb des medizinischen Bereichs verlangen noch nach medizinisch nicht relevanten genetischen Daten fragen, noch solche Daten verwerten. Diese Verbote gelten auch in Haftpflichtfällen.

2. Abschnitt: Genetische Untersuchungen bei Arbeitsverhältnissen

Art. 38 Allgemeine Bestimmungen

1 Genetische Untersuchungen, die im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis veranlasst werden, dürfen nur zur Abklärung von Eigenschaften durchgeführt werden, die am Arbeitsplatz relevant sind.

2 Die Ärztin oder der Arzt teilt der betroffenen Person das Ergebnis der Untersuchung mit. Dem Arbeitgeber darf die Ärztin oder der Arzt nur mitteilen, ob die betroffene Person für die vorgesehene Tätigkeit in Frage kommt.

Art. 39 Verbot betreffend präsymptomatische genetische Untersuchungen

Im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis dürfen unter Vorbehalt von Artikel 40 weder der Arbeitgeber noch eine vom Arbeitgeber beigezogene Ärztin oder ein beigezogener Arzt:

a.
die Durchführung von präsymptomatischen genetischen Untersuchungen verlangen;
b.
nach genetischen Daten aus früheren präsymptomatischen genetischen Untersuchungen fragen oder solche Daten verwerten.
Art. 40 Ausnahme betreffend die Veranlassung von präsymptomatischen genetischen Untersuchungen zur Verhütung von Berufskrankheiten und Unfällen

1 Im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis darf die vom Arbeitgeber beigezogene Ärztin oder der von ihm beigezogene Arzt eine präsymptomatische genetische Untersuchung veranlassen, wenn zusätzlich zu den für genetische Untersuchungen im medizinischen Bereich geltenden Bestimmungen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

a.
Der Arbeitsplatz ist durch eine Verfügung der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) der arbeitsmedizinischen Vorsorge unterstellt, oder für die betreffende Tätigkeit muss aufgrund anderer bundesrechtlicher Vorschriften eine medizinische Eignungsuntersuchung durchgeführt werden, weil die Gefahr einer Berufskrankheit oder einer schwerwiegenden Umweltschädigung oder eine hohe Unfall- oder Gesundheitsgefahr für Drittpersonen besteht.
b.
Massnahmen am Arbeitsplatz nach Artikel 82 des Bundesgesetzes vom 20. März 19819 über die Unfallversicherung oder nach anderen gesetzlichen Bestimmungen reichen nicht aus, um eine Gefahr nach Buchstabe a auszuschliessen.
c.
Die betreffende genetische Veranlagung ist nach dem Stand der Wissenschaft relevant für die Berufskrankheit, die Gefahr der Umweltschädigung oder die Unfall- oder Gesundheitsgefahr für Drittpersonen; die Kommission hat die Relevanz bestätigt und die Untersuchungsart, mit der die genetische Veranlagung abgeklärt wird, als zuverlässig bezeichnet.

2 Für die Durchführung einer genetischen Untersuchung zur Verhütung einer Berufskrankheit ist die Zustimmung der SUVA erforderlich.

Art. 41 Aufsicht

Die Aufsicht über die Einhaltung der Artikel 37-40 durch den Arbeitgeber richtet sich nach den Bestimmungen des Arbeitsgesetzes vom 13. März 196410 und des Bundesgesetzes vom 20. März 198111 über die Unfallversicherung.

3. Abschnitt: Genetische Untersuchungen bei Versicherungsverhältnissen

Art. 43 Verbot betreffend den Umgang mit genetischen Daten

1 Versicherungseinrichtungen dürfen betreffend die zu versichernde Person bei folgenden Versicherungen weder nach genetischen Daten aus früheren präsymptomatischen Untersuchungen fragen noch solche Daten verwerten:

a.
Versicherungen, auf die das Bundesgesetz vom 6. Oktober 200012 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts ganz oder teilweise anwendbar ist;
b.
berufliche Vorsorge im obligatorischen und im überobligatorischen Bereich;
c.
Versicherungen betreffend die Lohnfortzahlungspflicht im Krankheitsfall oder bei Mutterschaft;
d.
Lebensversicherungen mit einer Versicherungssumme von höchstens 400 000 Franken;
e.
freiwillige Invaliditätsversicherungen mit einer Jahresrente von höchstens 40 000 Franken.

2 Schliesst eine Person mehrere Lebens- oder Invaliditätsversicherungen ab, so darf der Höchstbetrag nach Absatz 1 Buchstabe d oder e nur einmal ausgeschöpft werden. Die antragstellende Person muss der Versicherungseinrichtung die entsprechende Auskunft erteilen.

3 Versicherungseinrichtungen dürfen betreffend die zu versichernde Person weder nach genetischen Daten aus früheren pränatalen genetischen Untersuchungen oder aus Untersuchungen zur Familienplanung fragen noch solche Daten verwerten.

Art. 44 Umgang mit Daten aus präsymptomatischen genetischen Untersuchungen

1 Im Hinblick auf den Abschluss einer Privatversicherung, die nicht unter Artikel 43 Absatz 1 fällt, dürfen Versicherungseinrichtungen nur dann nach genetischen Daten aus früheren präsymptomatischen genetischen Untersuchungen betreffend die zu versichernde Person fragen oder solche Daten nur dann verwerten, wenn:

a.
die betreffende Untersuchung technisch und in der medizinischen Praxis zuverlässige Ergebnisse liefert;
b.
der wissenschaftliche Wert der Untersuchung für die Prämienberechnung relevant und nachgewiesen ist; und
c.
die zu versichernde Person von den genetischen Daten Kenntnis hat.

2 Die Versicherungseinrichtung darf nur verlangen, dass die Daten nach Absatz 1 der beigezogenen Ärztin oder dem beigezogenen Arzt mitgeteilt werden. Die Ärztin oder der Arzt teilt der Versicherungseinrichtung nur mit, in welche Risikogruppe die zu versichernde Person einzuteilen ist.

3 Die genetischen Daten und die Einteilung in die Risikogruppe dürfen nur im Hinblick auf den Abschluss einer Privatversicherung nach Absatz 1 bearbeitet werden.

4. Abschnitt: Genetische Untersuchungen in Haftpflichtfällen

Art. 45 Verbot betreffend die Durchführung genetischer Untersuchungen und den Umgang mit genetischen Daten

1 In Haftpflichtfällen ist es verboten, insbesondere zum Zweck der Schadensberechnung oder der Schadenersatzbemessung präsymptomatische oder pränatale genetische Untersuchungen oder Untersuchungen zur Familienplanung durchzuführen, nach Daten aus solchen Untersuchungen zu fragen oder solche Daten zu verwerten.

2 Das Verbot gilt nicht, wenn die Untersuchungen der betroffenen Person zur Geltendmachung von Schadenersatz oder von Genugtuung für eine genetische Schädigung dienen.

Art. 46 Form der Zustimmung bei diagnostischen genetischen Untersuchungen

In Haftpflichtfällen darf, insbesondere zum Zweck der Schadensberechnung oder der Schadenersatzbemessung, nur mit schriftlicher Zustimmung der betroffenen Person eine diagnostische genetische Untersuchung durchgeführt werden, nach Daten aus einer solchen Untersuchung gefragt werden oder eine Verwertung solcher Daten erfolgen.

5. Kapitel: DNA-Profile zur Klärung der Abstammung oder zur Identifizierung

Art. 47 Grundsätze

1 Bei der Erstellung von DNA-Profilen zur Klärung der Abstammung oder zur Identifizierung dürfen keine genetischen Untersuchungen nach dem 2. und 3. Kapitel durchgeführt werden. Vorbehalten bleibt die Feststellung des Geschlechts, wenn diese für die Klärung der Abstammung oder zur Identifizierung erforderlich ist.

2 Werden dennoch Eigenschaften erkannt, die unter die Geltung des 2. und 3. Kapitels fallen, so dürfen diese weder in den Untersuchungsbericht aufgenommen noch der betroffenen Person oder Dritten mitgeteilt werden. Die Person, welche die Probe entnimmt, muss die betroffene Person vor der Erstellung des DNA-Profils darüber informieren, dass ihr solche Eigenschaften nicht mitgeteilt werden dürfen.

3 Die Probe der betroffenen Person muss vom Laboratorium, welches das DNA-Profil erstellt, oder auf Anordnung des Laboratoriums von einer Ärztin, einem Arzt oder einer anderen geeigneten Person entnommen werden. Die Person, welche die Probe entnimmt, muss die Identität der betroffenen Person prüfen.

4 Die Publikumswerbung für die Erstellung von DNA-Profilen muss über die Vorgaben dieses Gesetzes zur Veranlassung, Information und Zustimmung informieren. Irreführende Angaben sind verboten.

Art. 48 DNA-Profile von verstorbenen Personen

1 Ist die Person, zu der das Abstammungsverhältnis geklärt werden soll, verstorben, so ist die Untersuchung zulässig, sofern:

a.
die Person, welche die Abklärung verlangt, gute Gründe hierfür dargelegt hat; und
b.
die nächsten Angehörigen der verstorbenen Person zugestimmt haben.

2 Verweigern die nächsten Angehörigen die Zustimmung, so ist stattdessen eine Anordnung der zuständigen Behörde oder des zuständigen Gerichts erforderlich.

3 Sind keine nächsten Angehörigen vorhanden oder erreichbar, so ist die Untersuchung zulässig, wenn nur die Voraussetzung nach Absatz 1 Buchstabe a erfüllt ist. Die Person, welche die Abklärung verlangt, muss über das Vorhandensein nächster Angehöriger nach bestem Wissen Auskunft geben.

Art. 49 Zivilverfahren

1 In einem Zivilverfahren darf das DNA-Profil einer Partei oder Drittperson nur auf Anordnung des Gerichts oder mit schriftlicher Zustimmung der betroffenen Person erstellt werden. Im Übrigen gelten die Bestimmungen der Zivilprozessordnung13.

2 Das Laboratorium muss die Proben, die im Rahmen des Verfahrens entnommen wurden, und die daraus resultierenden Daten bis zur Rechtskraft des Urteils aufbewahren. Das Gericht, das die Untersuchung angeordnet hat, informiert das Laboratorium über den Eintritt der Rechtskraft.

Art. 50 Verwaltungsverfahren

1 Bestehen in einem Verwaltungsverfahren begründete Zweifel an der Abstammung oder an der Identität einer Person, die sich auf andere Weise nicht ausräumen lassen, so kann die zuständige Behörde die Erteilung einer Bewilligung oder die Gewährung einer Leistung von der Erstellung eines DNA-Profils abhängig machen.

2 Das DNA-Profil darf nur erstellt werden, wenn die betroffene Person schriftlich zugestimmt hat.

3 Das Laboratorium muss die Proben und die daraus resultierenden Daten aufbewahren, bis die entsprechende Verfügung oder das Gerichtsurteil rechtskräftig ist. Die zuständige Behörde informiert das Laboratorium über den Eintritt der Rechtskraft.

Art. 51 Allgemeine Bestimmungen zu DNA-Profilen ausserhalb von behördlichen Verfahren

1 Ausserhalb von behördlichen Verfahren dürfen DNA-Profile nur erstellt werden, wenn die betroffenen Personen schriftlich zugestimmt haben.

2 Ein urteilsunfähiges Kind, dessen Abstammung von einer bestimmten Person geklärt werden soll, kann von dieser nicht vertreten werden.

3 Bei DNA-Profilen zur Klärung der Abstammung muss das Laboratorium, das die DNA-Profile erstellt, die betroffenen Personen vor der Untersuchung über die Bestimmungen des Zivilgesetzbuchs14 betreffend die Entstehung des Kindesverhältnisses und die möglichen psychischen und sozialen Auswirkungen der Untersuchung informieren. Die Information muss schriftlich erfolgen.

Art. 52 Zusätzliche Bestimmungen zu pränatalen Vaterschaftsabklärungen

1 Pränatale Vaterschaftsabklärungen dürfen nur von einer Ärztin oder einem Arzt veranlasst werden. Vorgängig muss ein eingehendes Beratungsgespräch mit der schwangeren Frau stattfinden, in dem insbesondere Folgendes besprochen wird:

a.
Zweck, Art und Aussagekraft der Untersuchung;
b.
die psychischen, sozialen und rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Schwangerschaft;
c.
allfällige Folgemassnahmen nach der Abklärung und Möglichkeiten der Unterstützung;
d.
das Verbot nach Absatz 3, über das Geschlecht des Embryos oder des Fötus zu informieren.

2 Das Beratungsgespräch ist zu dokumentieren.

3 Wird im Rahmen einer pränatalen Vaterschaftsabklärung das Geschlecht des Embryos oder des Fötus festgestellt, so darf das Resultat der schwangeren Frau nicht vor Ablauf der zwölften Woche nach Beginn der letzten Periode mitgeteilt werden.

4 Die Mitteilung darf auch nach Ablauf der zwölften Woche nicht erfolgen, wenn aus der Sicht der Ärztin oder des Arztes die Gefahr besteht, dass die Schwangerschaft aufgrund des Geschlechts abgebrochen wird.

Art. 53 Anerkennung zur Erstellung von DNA-Profilen

1 Wer DNA-Profile nach diesem Gesetz erstellt, benötigt eine Anerkennung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements.

2 Eine Anerkennung wird erteilt, wenn:

a.
die erforderlichen fachlichen und betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind;
b.
ein geeignetes Qualitätsmanagementsystem vorhanden ist.

3 Der Bundesrat nimmt folgende Aufgaben wahr:

a.
Er regelt die Anforderungen an die Qualifikation der leitenden Person, an das Qualitätsmanagementsystem und die betrieblichen Voraussetzungen.
b.
Er umschreibt die Pflichten der Inhaberin oder des Inhabers der Anerkennung.
c.
Er regelt das Anerkennungsverfahren.
d.
Er regelt die Aufsicht und sieht insbesondere die Möglichkeit unangemeldeter Inspektionen vor.
e.
Er kann nach Anhörung der Kommission einzelne Arbeitsschritte, die von Einrichtungen ohne Anerkennung nach Absatz 1 angeboten werden, der Anerkennungspflicht unterstellen.

6. Kapitel: Eidgenössische Kommission für genetische Untersuchungen beim Menschen

Art. 54

1 Der Bundesrat setzt eine Eidgenössische Kommission für genetische Untersuchungen beim Menschen ein.

2 Die Kommission nimmt insbesondere folgende Aufgaben wahr:

a.
Sie gibt Empfehlungen für die Aufklärung (Art. 6), die genetische Beratung (Art. 21 und 22) und die Aufklärung bei pränatalen Risikoabklärungen (Art. 23) ab.
b.
Sie gibt Empfehlungen zur Weiterbildung und zur Qualifikation nach Artikel 20 Absatz 1 ab.
c.
Sie nimmt auf Anfrage des BAG zu Bewilligungsgesuchen Stellung (Art. 28 Abs. 1) und wirkt bei Aufsichtsmassnahmen mit.
d.
Sie erarbeitet Massstäbe für die Qualitätskontrolle genetischer Untersuchungen zuhanden des Bundesrates.
e.
Sie gibt Empfehlungen zur Erstellung von DNA-Profilen ab.
f.
Sie verfolgt die wissenschaftliche und praktische Entwicklung der genetischen Untersuchungen, gibt Empfehlungen dazu ab und zeigt regulatorischen Handlungsbedarf auf.

3 Sie ist bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unabhängig.

7. Kapitel: Evaluation des Gesetzes

Art. 55

1 Das BAG sorgt für die Überprüfung der Zweckmässigkeit und Wirksamkeit dieses Gesetzes.

2 Das Eidgenössische Departement des Innern erstattet dem Bundesrat Bericht über die Ergebnisse der Evaluation und unterbreitet Vorschläge für das weitere Vorgehen.

8. Kapitel: Strafbestimmungen

Art. 56 Vergehen

1 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft wird, wer vorsätzlich:

a.
ohne die nach diesem Gesetz erforderliche Zustimmung der betroffenen Person eine genetische Untersuchung veranlasst, in Auftrag gibt oder durchführt oder ein DNA-Profil erstellt oder in Auftrag gibt;
b.
im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit einer Person gegen ihren Willen Informationen über ihr Erbgut mitteilt;
c.
bei einer urteilsunfähigen Person eine genetische Untersuchung veranlasst oder in Auftrag gibt, die weder für den Schutz von deren Gesundheit notwendig ist noch die Anforderungen nach Artikel 16 Absatz 2 erfüllt;
d.
pränatale genetische Untersuchungen veranlasst oder in Auftrag gibt, die weder zur Abklärung von Eigenschaften dienen, welche die Gesundheit des Embryos oder des Fötus direkt beeinträchtigen, noch zur Abklärung von Blutgruppen oder Blutmerkmalen nach Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe b, noch zur Abklärung der Gewebemerkmale nach Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe c;
e.
bei Arbeits- und Versicherungsverhältnissen die Durchführung genetischer Untersuchungen ausserhalb des medizinischen Bereichs verlangt, nach medizinisch nicht relevanten genetischen Daten fragt oder solche Daten verwertet;
f.
bei Arbeitsverhältnissen entgegen Artikel 39 Buchstabe a die Durchführung von präsymptomatischen genetischen Untersuchungen verlangt oder solche veranlasst, ohne dass die Voraussetzungen nach Artikel 40 erfüllt sind;
g.
bei Arbeitsverhältnissen entgegen Artikel 39 Buchstabe b nach genetischen Daten aus früheren präsymptomatischen genetischen Untersuchungen fragt oder solche Daten verwertet;
h.
bei Versicherungsverhältnissen entgegen Artikel 42 präsymptomatische oder pränatale genetische Untersuchungen oder Untersuchungen zur Familienplanung verlangt;
i.
bei Versicherungsverhältnissen entgegen Artikel 43 nach genetischen Daten aus früheren präsymptomatischen oder pränatalen genetischen Untersuchungen oder Untersuchungen zur Familienplanung fragt oder solche Daten verwertet.

2 Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer gewerbsmässig und vorsätzlich:

a.
Proben oder genetische Daten aus Untersuchungen nach Artikel 31 Absatz 2 nach zwei Jahren nicht vernichtet, obwohl für die Verwendung zu einem anderen Zweck keine ausdrückliche Zustimmung der betroffenen Person vorliegt (Art. 11 Abs. 2);
b.
Proben oder genetische Daten entgegen Artikel 12 oder 44 Absatz 3 zu einem anderen Zweck verwendet;
c.
genetische Tests zur Eigenanwendung entgegen Artikel 13 betroffenen Personen für Untersuchungen im medizinischen Bereich, zur Abklärung besonders schützenswerter Eigenschaften der Persönlichkeit ausserhalb des medizinischen Bereichs oder zur Erstellung von DNA-Profilen zur Klärung der Abstammung oder zur Identifizierung abgibt;
d.
eine genetische Untersuchung im medizinischen Bereich veranlasst, ohne die Anforderungen nach Artikel 20 zu erfüllen;
e.
eine genetische Untersuchung zur Abklärung besonders schützenswerter Eigenschaften veranlasst, ohne dazu nach Artikel 34 Absätze 1, 2 und 4 berechtigt zu sein.
Art. 57 Übertretungen

Mit Busse wird bestraft, wer vorsätzlich:

a.
gegen das Verbot der Publikumswerbung nach Artikel 14 Absatz 1 verstösst oder Publikumswerbung macht, bei der die nach Artikel 14 Absatz 3 oder 47 Absatz 4 erforderlichen Angaben zu den Vorgaben des Gesetzes falsch sind oder fehlen;
b.
einer schwangeren Frau vor Ende der zwölften Schwangerschaftswoche entgegen Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a oder 52 Absatz 3 das Geschlecht des Embryos oder des Fötus oder entgegen Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe b das Ergebnis der Untersuchung der Gewebemerkmale mitteilt;
c.
die genetische Untersuchung des Erbguts einer Drittperson durchführt, ohne über die erforderliche Bewilligung zu verfügen;
d.
ein DNA-Profil einer Drittperson erstellt, ohne über die erforderliche Anerkennung zu verfügen.
Art. 58 Zuständige Behörde und Verwaltungsstrafrecht

1 Die Verfolgung und die Beurteilung von Straftaten nach diesem Gesetz obliegen den Kantonen.

2 Die Artikel 6 und 7 zu Widerhandlungen in Geschäftsbetrieben sowie Artikel 15 zur Urkundenfälschung und zum Erschleichen einer falschen Beurkundung des Bundesgesetzes vom 22. März 197415 über das Verwaltungsstrafrecht sind anwendbar.

9. Kapitel: Schlussbestimmungen

Art. 60 Übergangsbestimmung

1 Für die Durchführung von genetischen Untersuchungen, die bisher nicht bewilligungspflichtig waren und die neu bewilligt werden müssen, ist das Gesuch dem BAG innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes einzureichen. Wird das Gesuch nicht fristgerecht eingereicht, so muss die Tätigkeit eingestellt werden.

2 Bewilligungen für die Durchführung genetischer Untersuchungen sowie Anerkennungen zur Erstellung von DNA-Profilen nach bisherigem Recht sind weiterhin gültig.

3 Für Anwendungskonzepte für Reihenuntersuchungen, die vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 8. Oktober 200416 über genetische Untersuchungen beim Menschen bereits durchgeführt wurden, ist keine Bewilligung erforderlich.

4 Bewilligungen von Anwendungskonzepten nach bisherigem Recht sind weiterhin gültig.

Art. 61 Referendum und Inkrafttreten

1 Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

2 Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

Datum des Inkrafttretens: 1. Dezember 202217

17 BRB vom 23. Sept. 2022

Anhang

(Art. 59)

Aufhebung und Änderung anderer Erlasse

I

Das Bundesgesetz vom 8. Oktober 200418 über genetische Untersuchungen beim Menschen wird aufgehoben.

II

Die nachstehenden Erlasse werden wie folgt geändert:

...19

18 [AS 2007 635; 2013 3215 Anhang Ziff. 3]

19 Die Änderungen können unter AS 2022 537 konsultiert werden.